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Walter Benjamin,Golden Deer Classics

Walter Benjamin: Gesammelte Schriften (Golden Deer Classics)

  • Heiko Idensenhat Zitat gemachtvor 10 Jahren
    Rites de passage – so heißen in der Folklore die Zeremonien, die sich an Tod, Geburt, an Hochzeit, Mannbarwerden etc. anschließen. In dem modernen Leben sind diese Übergänge immer unkenntlicher und unerlebter geworden. Wir sind sehr arm an Schwellenerfahrungen geworden. Das Einschlafen ist vielleicht die einzige, die uns geblieben ist. (Aber damit auch das Erwachen.) Und schließlich wogt wie der Gestaltenwandel des Traums über Schwellen auch das Auf und Nieder der Unterhaltung und der Geschlechterwandel der Liebe. »Qu’il plaît à l’homme« sagt Aragon, »de se tenir sur le pas des portes de l’imagination!« (Paysan 〈de Paris Paris 1926〉 p 74) Es sind nicht nur die Schwellen dieser phantastischen Tore, es sind die Schwellen überhaupt, aus denen Liebende, Freunde, sich Kräfte zu saugen lieben. Die Huren aber lieben die Schwellen dieser Traum-tore. – Die Schwelle ist ganz scharf von der Grenze zu scheiden. Schwelle ist eine Zone. Wandel, Übergang, Fluten liegen im Worte »schwellen« und diese Bedeutungen hat die Etymologie nicht zu übersehen. Andererseits ist notwendig, den unmittelbaren tektonischen und zeremonialen Zusammenhang festzustellen, der das Wort zu seiner Bedeutung gebracht. □ Traumhaus □ [O 2 a, 1]
  • Heiko Idensenhat Zitat gemachtvor 10 Jahren
    Brazier, Gabriel et Dumersan: Les passages et les rues, ou la guerre déclarée Paris 1827 p 30
    Ist ers von seinen standhaften Irrgänge⁠〈n〉 her nicht gewohnt, das Bild der Stadt sich allerorten umzudeuten? Verwandelt er nicht die Passage in ein Kasino, in einen Spielsaal, wo er die roten, blauen, gelben Jetons der Gefühle auf Frauen setzt, auf ein Gesicht, das auftaucht – wird es seinen Blick erwidern? – auf einen stummen Mund – wird er reden? Was auf dem grünen Tuch aus jeder Nummer den Spieler ansieht – das Glück – blinzelt ihm hier aus allen Frauenkörpern als die Chimäre der Geschlechtlichkeit entgegen: als sein Typ. Der ist nichts anderes als die Nummer, die Chiffer, in welcher gerad in diesem Augenblick das Glück beim Namen will gerufen sein, um gleich darauf in eine andere umzuspringen. Der Typ – das ist das Fach des sechsunddreißigfachen Setzens, in das das Auge des Lüstlings ohne sein Zutun fällt wie die elfenbeinerne Kugel in die rote oder schwarze Kassette. Er tritt mit prallen Taschen aus dem Palais Royal, ruft eine Hure heran und feiert noch einmal in ihren Armen den Akt mit der Nummer, in welchem Geld und Gut, von aller Erdenschwere entbunden, vom Schicksal ihm wie die Erwiderung einer völlig geglückten Umarmung kamen. Denn in Bordell und Spielsaal ist es die gleiche, sündigste Wonne: In der Lust das Schicksal zu stellen. Daß Sinnenlust, von welcher Art sie sei, den theologischen Begriff der Sünde bestimmen könne, mögen ahnungslose Idealisten sich träumen lassen. Der wahren Unzucht liegt nichts anderes zu Grunde als gerade diese Entwendung der Lust aus dem Verlaufe des Lebens mit Gott, dessen Bindung an ihn im Namen wohnt. Der Name selber ist der Schrei der nackten Lust. Dies Nüchterne, Schicksalslose an sich – der Name – kennt keinen andern Gegner als das Schicksal, das in der Hurerei an seine Stelle tritt und sich im Aberglauben sein Arsenal schafft. Daher im Spieler und in der Hure der Aberglaube, der die Figuren des Schicksals stellt, der alle buhlerische Unterhaltung mit Schicksalsvorwitz, Schicksalslüsternheit erfüllt und selbst die Lust zu dessen Thron erniedrigt. [O 1, 1]
  • Heiko Idensenhat Zitat gemachtvor 10 Jahren
    In jedem wahren Kunstwerk gibt es die Stelle, an der es den, der sich dareinversetzt, kühl wie der Wind einer kommenden Frühe anweht. Daraus ergibt sich, daß die Kunst, die man oft als refraktär gegen jede Beziehung zum Fortschritt ansah, dessen echter Bestimmung dienen kann. Fortschritt ist nicht in der Kontinuität des Zeitverlaufs sondern in seinen Interferenzen zu Hause: dort wo ein wahrhaft Neues zum ersten Mal mit der Nüchternheit der Frühe sich fühlbar macht. [N 9 a, 7]
  • Heiko Idensenhat Zitat gemachtvor 10 Jahren
    Dialektiker sein heißt den Wind der Geschichte in den Segeln haben. Die Segel sind die Begriffe. Es genügt aber nicht, über die Segel zu verfügen. Die Kunst, sie setzen zu können, ist das Entscheidende. [N 9, 8]
    Der Begriff des Fortschritts ist in der Idee der Katastrophe zu fundieren. Daß es »so weiter« geht, ist die Katastrophe. Sie ist nicht das jeweils Bevorstehende sondern das jeweils Gegebene. So Strindberg – in »Nach Damaskus«? die Hölle ist nichts, was uns bevorstünde – sondern dieses Leben hier. [N 9 a, 1]
    Es ist gut, materialistischen Untersuchungen einen abgestumpften Schluß zu geben. [N 9 a, 2]
    Zur Rettung gehört der feste, scheinbar brutale Zugriff. [N 9 a, 3]
    Das dialektische Bild ist diejenige Form des historischen Gegenstand⁠〈s〉, die Goethes Anforderungen an den Gegenstand einer Analyse genügt: eine echte Synthesis aufzuweisen. Es ist das Urphänomen der Geschichte. [N 9 a, 4]
  • Heiko Idensenhat Zitat gemachtvor 10 Jahren
    Menschheit soll versöhnt von ihrer Vergangenheit scheiden – und eine Form des Versöhntseins ist Heiterkeit. »Das jetzige deutsche Regime …, die zur Weltschau ausgestellte Nichtigkeit des ancien régime, … ist nur mehr der Komödiant einer Weltordnung, deren wirkliche Helden gestorben sind. Die Geschichte ist gründlich und macht viele Phasen durch, wenn sie eine alte Gestalt zu Grabe trägt. Die letzte Phase einer weltgeschichtlichen Gestalt ist ihre Komödie. Die Götter Griechenlands, die schon einmal tragisch zu Tode verwundet waren im gefesselten Prometheus des Äschylus, mußten noch einmal komisch sterben in den Gesprächen Lucians. Warum dieser Gang der Geschichte? Damit die Menschheit heiter von ihrer Vergangenheit scheide.« Karl Marx: Der historische Materialismus Die Frühschriften ed Landshut und Mayer Leipzig I p 268 (Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie)
  • Heiko Idensenhat Zitat gemachtvor 10 Jahren
    Michelet – ein Autor, von dem ein Zitat, wo immer es sich findet, den Leser das Buch vergessen macht, in dem er es antrifft. [N 6, 2]
  • Heiko Idensenhat Zitat gemachtvor 10 Jahren
    Die besondere Schwierigkeit der historischen Arbeit für die Zeit nach dem Abschluß des achtzehnten Jahrhunderts ist da⁠〈r〉⁠zulegen. Seit Entstehung der großen Presse werden die Quellen unübersehbar. [N 4 a, 6]
  • Heiko Idensenhat Zitat gemachtvor 10 Jahren
    Wie Proust seine Lebensgeschichte mit dem Erwachen beginnt, so muß jede Geschichtsdarstellung mit dem Erwachen beginnen, ja sie darf eigentlich von nichts anderm handeln. So handelt diese vom Erwachen aus dem neunzehnten Jahrhundert. [N 4, 3]
    Die Verwertung der Traumelemente beim Aufwachen ist der Kanon der Dialektik. Sie ist vorbildlich für den Denker und verbindlich für den Historiker. [N 4, 4]
  • Heiko Idensenhat Zitat gemachtvor 10 Jahren
    Die Rede vom Buch der Natur weist darauf hin, daß man das Wirkliche wie einen Text lesen kann. So soll es hier mit der Wirklichkeit des neunzehnten Jahrhunderts gehalten werden. Wir schlagen das Buch des Geschehenen auf. [N 4, 2]
  • Heiko Idensenhat Zitat gemachtvor 10 Jahren
    Urgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts« – die hätte kein Interesse, wenn man es so versteht, daß im Bestand des neunzehnten Jahrhunderts urgeschichtliche Formen sollten wiedergefunden werden. Nur wo das neunzehnte Jahrhundert als originäre Form der Urgeschichte würde dargestellt werden, in einer Form also, in welcher sich die ganze Urgeschichte in solchen Bildern neu gruppiert, die im vergangnen Jahrhundert zuständig sind, hat der Begriff von einer Urgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts seinen Sinn. [N 3 a, 2]
    Sollte Erwachen die Synthesis sein aus der Thesis des Traumbewußtseins und der Antithesis des Wachbewußtseins? Dann wäre der Moment des Erwachens identisch mit dem »Jetzt der Erkennbarkeit«, in dem die Dinge ihre wahre – surrealistische – Miene aufsetzen. So ist bei Proust wichtig der Einsatz des ganzen Lebens an der im höchsten Grade dialektischen Bruchstelle des Lebens, dem Erwachen. Proust beginnt mit einer Darstellung des Raums des Erwachenden. [N 3 a, 3]
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