Anpacken kann sie, die Anna, wenn die Gäste in Scharen in den legendären Weißbiergarten der Lemkes kommen. Was sollen sie bis nach Schöneberg laufen. Hier, zwischen den Fliederbüschen im Schatten der Bäume, sitzt man auch gut. Aber Lemkes Sohn Willem schöne Augen machen und so mir nichts, dir nichts in die Wirtschaft “rinzuheiraten”, das geht für Frau Lemke zu weit: Anna muss gehen. Doch wahre Liebe duldet keinen mütterlichen Widerstand und abends ist auch Willem verschwunden. In der Ackerstraße im hohen Norden betreibt Annas Tante eine dunkle Kellerwirtschaft — kein schönes Zuhause für den verwöhnten Sohn. Willems heimliche Hoffnung, dass seine Mutter Frieden schließt und das junge Paar zurückholt, erfüllt sich nicht. Aber seine patente junge Frau hat nicht umsonst bei Frau Lemke gelernt, wie man eine Wirtschaft zum Blühen bringt. Jedenfalls nicht mit “Soleia und Buletten”! Erstaunt beobachtet die Nachbarschaft, wie mit Pinsel und hellblauer Farbe aus dem Kellerloch eine ansehnliche Gaststätte mit neuen Gardinen und frischem Anstrich wird. Der Höhepunkt der allgemeinen Verwunderung aber ist erreicht, als der Maler mit kolossalem Aufwand von blauer Farbe die Inschrift anbringt: “Zur unterirdischen Tante”. So beginnt Erdmann Graesers fünfteilige Familienchronik um die Nachfahren von Lemkes seliger Witwe, die das alte Berlin der Gründerzeit aus der Sicht der kleinen Leute so lebendig und komisch schildert. Ob Tante Marie, Onkel Karl oder die Lemkes: alle sind zum Verlieben verrückte Berliner Originale. Schon der erste Band der fünfteiligen Romanfolge um die Nachfahren von Lemkes seliger Witwe steckt voller Berliner Witz und skurriler Situationskomik. Die Lemkes, allesamt Berliner Originale, haben das Herz auf dem rechten Fleck. Ihr Alltag beschreibt lebendig und voller Humor das boomende Berlin der spannenden Gründerjahre aus der Sicht der kleinen Leute.
Erdmann Graeser (1870–1937) war ein deutscher Schriftsteller. Als Sohn eines Geheimen Kanzleirats im Finanzministerium in Berlin geboren, ist Graeser zwischen Nollendorfplatz und Bülowbogen im Berliner Westen aufgewachsen. Graeser studierte Naturwissenschaften, brach jedoch das Studium ab und arbeitete zunächst als Redakteur für die “Berliner Morgenpost” und später als freier Schriftsteller. Er wohnte viele Jahre in Berlin-Schöneberg und zog nach seinem literarischen Erfolg nach Berlin-Schlachtensee im Bezirk Zehlendorf. 1937 starb er an einem Herzleiden. Sein Grab liegt auf dem Gemeindefriedhof an der Onkel-Tom-Straße in Zehlendorf. In seinen Unterhaltungsromanen thematisierte Graeser die Lebenswelt der kleinen Leute im Berlin seiner Zeit und legte dabei auch großen Wert auf den Berliner Dialekt. Zu seinen bekanntesten Romanen gehören “Lemkes sel. Witwe”, “Koblanks”, “Koblanks Kinder” und “Spreelore”. Einige seiner Romane wurden später auch für Hörfunk und Fernsehen bearbeitet.